Handwerk mit Charakter aus der Moosalpregion

Es ist der altbekannte Geruch von Leder, der so manches «Terbji» in Erinnerungen schwelgen lässt, wenn er die kleine Schuhmacherei im Herzen des Dorfes betritt. Damals als so viel Zukunft und so wenig Vergangenheit zu sein schien. Nicht viel hat sich über die ganzen Jahre in der Werkstatt im Fällach verändert – Kuhglocken, Schuhe zur Reparatur, Glockenriemen – es liegt eine Art «Unordnung in der Ordnung» womit sich nur der Künstler selbst auskannte und die Leidenschaft für das Handwerk förmlich spürbar ist.

von Dominic Juon

Wie alles begann

In eben dieser Werkstatt hat die Karlen Sattlerei- und Handels GmbH, oder kurz gesagt, das kleine Familienunternehmen Karlen Swiss, seinen Ursprung. 1951 eröffnete Titus Karlen seine eigene Schuhmacherei in seiner Heimat Törbel. Zuvor verbrachte er drei Jahre in Zermatt, um dort das Handwerk des Schuhmachers zu erlernen. In der alten Postfiliale, mitten im Dorf, eine steile Gasse hinauf, richtete Titus seine Werkstatt ein. Schnell machte er sich weit über die Dorfgrenzen hinaus einen Namen für seine hochwertige und zuverlässige Arbeit. Handgemachte Schuhe, Pferdegeschirr, Glockenriemen, Gürtel, anfallende Reparaturen, verschiedene Accessoires und zahlreiche Militärartikel – seine Qualität und Liebe fürs Detail zeichneten seine Arbeitsweise aus. Insbesondere die kunstvollen Glockenriemen für Eringerkühe, Schafe und Ziegen sind noch heute sehr bekannt und werden Generationen überdauern. Um das geschickte Handwerk zu erhalten, hat sein Sohn Hans-Jörg in den letzten Jahren immer wieder von seinem Vater gelernt.

Gegen Ende der 90er Jahre musste sich der kleine Handwerksbetrieb umorientieren. Vater Titus ging auf die 70 zu, grössere Aufträge wie etwa von der Armee waren eher rückläufig und Hans-Jörg hatte ohnehin einen anderen Job als Aussendienstmitarbeiter bei der Lowa Schuhe AG. In dieser Situation hiess es entweder Neuausrichtung oder es bleiben lassen. 1998 ergab sich aber die Gelegenheit, eine Firma zu übernehmen, die Folkloreartikel herstellte. Etwa zur gleichen Zeit herrschte auf dem Markt eine starke Nachfrage nach Loden, einem gewalkten Wollstoff. Die Beschaffung von Loden guter Qualität stellte sich jedoch als äusserst schwierig heraus und so fiel Hans-Jörgs Blick eines schönen Tages auf eine alte Armeedecke in seinem Auto. Er dachte sich, dass dieser Wollstoff in seiner Beschaffenheit dem Loden sehr ähnlich war. Dies war die Geburtsstunde von Karlen Swiss und seiner ersten Kollektion, der Army Recycling Collection.

Von der Heimat geprägt

Heute wird das Unternehmen von Hans-Jörg und Yvonne Karlen geführt, die sieben weitere Frauen aus dem Dorf beschäftigen. Die Army Recycling Collection hatte sich im In- und Ausland bewährt und ist auch heute noch mit ihrer «Swissness» im Trend. Die Hintergrundidee, alte, teilweise gebrauchte Materialien zu recyceln/upcyceln und daraus modische Accessoires zu machen, trifft vor allem heutzutage den Nerv der Zeit. Seit der Lancierung der ersten Kollektion hat sich das Familienunternehmen kontinuierlich weiterentwickelt. Inzwischen ist auch das Kollektionssortiment gewachsen und neben ausgemusterten Armeedecken werden beispielsweise auch alte Postsäcke oder Schwingerhosenstoff in 100% Handarbeit zu trendigen, zeitlosen Accessoires und Produkten verarbeitet. Das Frauenteam um Yvonne haucht diesen Zeitzeugen mit kreativen Ideen neues Leben ein und schickt sie auf der Suche nach neuen Menschen, Geschichten und Erlebnissen in die Welt hinaus.

In dem kleinen Bergdorf, in dem die einzigartigen Unikate entstehen, spielen Kultur und Tradition auch heute noch eine wichtige Rolle und führen zu einem starken Zusammenhalt der Dorfbevölkerung. Es sind die Kultur und Traditionen, das Aufwachsen im Dorf, das Miteinander und die Zusammengehörigkeit und ganz eigene Charakter von Törbel, welche die Einheimischen von Kindheit an prägen und so auch das Unternehmen Karlen Swiss. Und gleichermassen ist auch der kleine Familienbetrieb, der seinen Ursprung im Herzen des Dorfes hat, ein wichtiger Teil von Törbel. Im Dorf verankert trägt er seit nunmehr 70 Jahren auf seine eigene Art und Weise zum Dorfleben bei.

Karlen Swiss – ein kleines Unternehmen aus der Moosalpregion

Mittlerweile beschäftigt Karlen Swiss sieben Frauen aus dem Dorf. Yvonne leitet das operative Geschäft in der Werkstatt und klärt gemeinsam mit Hans-Jörg die strategische Ausrichtung, Aufträge und neue Ideen. Die kleine Werkstatt ist einer der größten Arbeitgeber in Törbel. Seit der Neuausrichtung Ende 90er Jahre und der definitiven Übernahme der Sattlerei durch Hans-Jörg und Yvonne im Jahr 2000 sind einige Kollektionen nebst der Army Recylcling Collection hinzugekommen. So zählt das Unternehmen nun rund 10 verschiedene Kollektionen. Der Grundgedanke ist immer derselbe: Typische Schweizer Recyclingmaterialien mit kreativen Ideen zu kombinieren und damit durch «Upcycling» zu trendigen Produkten zu verarbeiten. So trifft es folgendes Sprichwort für Karlen Swiss ganz gut: «Manche Ideen werden mit den Jahren nicht älter, sie werden besser.» Im Sommer 2021 ist Titus Karlen im Alter von 90 Jahren verstorben.

Fotos: Christian Pfammatter