Die seltene Schönheit blüht
von Bruno Kalbermatten
Die Eisheiligen sind vorbei. Die Sonne wird von Tag zu Tag wärmer. Die Bergwiesen der Moosalpregion werden grüner. Vereinzelt liegen noch ein paar Schneefetzen. Die Südalpine Tulpe liebt diese Jahreszeit. Deshalb machen wir uns mit Biologe Olivier Putallaz auf die Suche nach der seltenen Schönheit. Unser Ziel: Hohstetten, ein kleiner Weiler in Törbel unterhalb des Panoramawegs in Richtung Bürchen.
Herkunft Italien – in der Moosalpregion zu Haus
Wenige Meter unterhalb Hohstetten werden wir fündig. Zwischen Mitte und Ende Mai blühen die Südalpinen Tulpen. «Di goldig Chritzmeije bliäjunt», würden die Einheimischen sagen. Biologe Olivier Putallaz packt seinen Wissensschatz aus. «Die Südalpine Tulpe ist die einzige Tulpenart, die sich in der Schweiz natürlich etabliert hat. Man trifft sie an wenigen Stellen im Oberwallis an, besonders oft aber in Törbel.» Besonders wohl fühle sich die Tulpe zwischen Törbel, dem Weiler Hostetten und der Moosalp. Auch auf der Alpe Bad sei die Tulpe schon gesichtet worden, ergänzt der Blumenfreund.
Biologen gehen davon aus, dass der «goldig Chritzmeiju» seinen Ursprung im Mittelmeerraum hat, die Alpen über den Simplon gequert hat und dann ins nächste Tal, das Mattertal, sowie das Rhonetal vorgedrungen ist. «Weiter kam die Südalpine Tulpe aber nicht, weil die Bedingungen nicht gut genug waren oder zu grosse Hindernisse einen weiteren Vormarsch verhinderten», erklärt der Biologe. In Törbel scheint die Tulpe jedoch ihr Zuhause gefunden zu haben.
Bedrohung durch intensive Landwirtschaft?
Die Törbjer schätzen die rare Spezies und wollen sie auch entsprechend schützen. Die Tulpe ist im Frühling beinahe ein Teil des Törbjer Ortsbilds geworden. Der Fortbestand der Tulpe ist aber gefährdet. Ein Blick in die Geschichtsbücher: Felduntersuchungen aus dem Jahre 1928 zeigen, dass die Tulpe damals beinahe flächendeckend verbreitet war. Heute ist sie nur noch in ein paar vereinzelten Stellen besiedelt.
Was sind die Gründe für die mögliche Gefährdung der seltenen Törbjer Schönheit? Die Biologen vermuten, dass die intensivere Berglandwirtschaft der Grund für die Abnahme der Tulpe ist. «Bergwiesen werden heute gedüngt und auch mehrmals pro Jahr gemäht. Hinzu kommt, dass Bergwiesen heute nicht mehr traditionell bewässert, sondern grossflächig berieselt werden», erklärt Putallaz. Zudem habe sich auch die Bestossung der Alpweiden mit Vieh verändert. Biologen ist dabei bewusst, dass auch die Landwirtschaft im steten Wandel ist und eine Landwirtschaft wie vor 50 Jahren nicht mehr möglich ist.
Pflücken verboten
Doch der Landwirtschaft den schwarzen Peter zuzuschieben wäre falsch. Auch das unerlaubte Pflücken und Ausgraben der Tulpenzwiebel kann der «Chritzmeiju» zusetzen.» Deshalb appeliert der Biologe an die Vernunft und rät Hobbygärtnern, die seltene Tulpe nicht zu pflücken. «Auch wenn ich es verstehe, dass sich eine solch schöne Diva im eigenen Blumengarten gut macht, besteht die Möglichkeit, dass unerlaubtes Pflücken der Population schaden kann.»
Die Törbjer wollen den «goldigu Chritzmeju» schützen. Eine Wiese bei Hohstetten steht unter Schutz von Pro Natura. Um die Tulpe zu fördern, wird die Bergwiese vom einheimischen Bauern nur schonend genutzt und auch nicht mehr mit Sprinkler bewässert. Zudem kann die Bevölkerung mit der Begleitung vom Büro Valeco mithelfen, die Törbjer Tulpe zu erforschen und somit den Fortbestand der seltenen Schönheit zu fördern.
Erforschung der Törbjer Tulpe mit Hilfe der lokalen Bevölkerung
Die Südalpine Tulpe in Törbel gehört zu den prioritär zu schützenden Pflanzenarten der Schweiz. Mit Hilfe der lokalen Bevölkerung plant die Valeco GmbH im Auftrag von Pro Natura und des Kantons Wallis, die Tulpe in den nächsten Jahren besser zu erforschen: Wann blüht oder verwelkt die Art, wann hat sie ihre Samenreife? Sind die Anzahl blühender Pflanzen jährlich gleich gross? Wie wirkt sich unterschiedliche Bewirtschaftung auf die Population aus?
Die Beantwortung solcher und weiterer Fragen sollen dazu führen, konkrete Schutzmassnahmen für die Erhaltung der Art auszuarbeiten. Weil es für alle Interessierten der Region möglich ist, voraussichtlich ab Herbst 2021 beim Projekt mit zu machen, wird der Bezug der Bevölkerung zu dieser einzigartigen, schönen und für die Region charakteristischen Art gestärkt.
Wer bei der Erforschung der Törbjer Tulpe mitmachen will, meldet sich direkt bei Biologe Olivier Putallaz.